Die Ruhe nach dem Sturm

Rainer Ziplinsky Gründer von ZIPPEL’S Läuferwelt ist mit 70 Jahren noch einmal einen Marathon gelaufen. Er hatte ein hohes Ziel, nach einigen gesundheitlichen Unterbrechungen des Trainings war er dennoch fest entschlossen in Hamburg anzutreten. In diesem Blog berichtet er über seine Erfahrungen, seine Pläne und von den Höhen und Tiefen des Lauftrainings.

Nun liegt der Marathon schon wieder eine Woche hinter mir. Am Montag und Dienstag hatte ich Muskelkater in den Oberschenkeln, der mich speziell beim Treppensteigen etwas einschränkte. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich etwas Vergleichbares nach meinen früheren Marathonläufen mal hatte. Ab Mittwoch war der Muskelkater vorüber und ich dachte schon wieder daran zu laufen. Trotzdem machte ich noch einige Tage Laufpause und lief erst am Sonnabend eine kleine Runde von 5,8 Kilometern. Außer dem besagten Muskelkater hatte ich keinerlei Beschwerden oder gar Verletzungen. Weder die Knie oder Hüften machten sich bemerkbar, noch schmerzte die Achillessehne. Auch meine Waden waren nicht hart und völlig locker. Und das ohne das Tragen von Kompressionssocken. Ich fühlte mich einfach rundum gut und genoss immer noch das großartige Gefühl der Zufriedenheit.

Im Laufe der vergangenen Tage liefen die vielen Wochen der Vorbereitung und der Lauf selbst noch einmal wie ein Spielfilm vor meinen Augen ab. Als ich die Idee, noch einmal einen Marathon zu laufen hatte, war mir klar, dass ich zwar kein Laufanfänger bin, aber über viele Jahre zu einem Spaß- und Gesundheitsläufer mutiert war. Ich hatte keinen Leistungsgedanken mehr und lief überwiegend jeden zweiten Tag Strecken von sechs bis acht Kilometern. Ich spürte deutlich das Älterwerden und hatte den Eindruck, dass mein Körper die Ruhetage dringend benötigte. Tägliches Laufen hielt ich für mich für so gut wie unmöglich. Ende April letzten Jahres startete ich dann mein Projekt „Marathon laufen mit 70“ und ich musste genau das ändern. So musste ich tägliches Laufen erst wieder lernen und ich musste meinen Körper behutsam an eine gesteigerte Belastung heranführen. Für diese Phase plante ich die Zeit von Mai bis November ein. Die große Unbekannte war für mich mein inzwischen fortgeschrittenes Alter. Ab Dezember hoffte ich dann, für das eigentliche Marathontraining vorbereitet zu sein. Im Nachhinein war dieses Vorgehen absolut richtig, aber es gab keine klare Trennlinie zwischen November und Dezember. Es war eher eine kontinuierliche Steigerung in Umfang und teilweise auch in der Intensität.

Ich hatte gedacht, ich wäre Anfang 2022 in der Lage, auch Wochen mit einhundert Kilometern zu laufen. Aber das war nicht so - ich spürte, dass ich mich von Training zu Training nicht ausreichend erholte. Mein Fazit, die Vorbereitung auf einen Marathon ist ein deutlich längerer Prozess. Als ich 1978 meinen ersten Marathon in 2:36 Stunden lief, hatte ich schon viele Laufjahre hinter mir. Und es war üblich, erst nach vielen Trainingsjahren von kürzeren Strecken zur Marathondistanz zu wechseln. Da hatte man schon für das Herz-Kreislaufsystem sowie für Muskeln und Gelenke ein stabiles Fundament für mehr Training und Umfang geschaffen. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: ein Jahr Vorbereitung war für mich zu wenig! Und obendrein konnte ich aufgrund meiner Oberschenkelverletzung im Februar gar nicht laufen.  Im Nachhinein betrachtet kann ich sagen, ist es viel besser gelaufen als gedacht. Ich bin relativ gleichmäßig gelaufen (HM 1:49:49, 2. Hälfte 1:54:33). Klar wurde ich gegen Ende des Laufes schwächer und schwächer, aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt einen Einbruch und schon gar nicht traf mich „der Mann mit dem Hammer“. Zu keinem Zeitpunkt des Laufes hatte ich den Gedanken ans Gehen oder gar ans Aufgeben. Stehenbleiben oder gehen wäre für mich sowieso gleichbedeutend mit aufgeben. Für mich persönlich muss ein Marathon komplett gelaufen sein. Früher bin ich meine Marathonläufe, ohne zu trinken gelaufen. Dieses Mal hatte ich mir vorgenommen, doch an den Verpflegungsstellen wenigstens etwas zu trinken. Bei zehn Kilometer griff ich zum ersten Mal nach einem Becher und versuchte während des Laufens zu trinken. Prompt verschluckte ich mich. Danach verzichtete ich auf weiteres Trinken. Ich bin also, wie in früheren Zeiten auch, ohne zusätzliche Flüssigkeit ins Ziel gekommen. So ähnlich verhielt es sich auch mit dem Gel. Nach einigem Überlegen entschloss ich mich, 2 Packungen davon mitzunehmen. Bei fünfundzwanzig Kilometer wollte ich die erste zu mir nehmen. Ich öffnete die Packung und drückte mir die erste Portion in meinen Mund. Man war das eklig und süß (ich schreibe hier nicht, welches Gel ich benutzte). Damit war das Thema Gel für mich erledigt und ich warf den Rest der Packung im Vorbeilaufen in eine Mülltonne.

Noch einige Anmerkungen zur von mir benutzten Garmin 945. Erst einmal ist meiner Meinung nach die Messung der Herzfrequenz am Handgelenk zumindest unter Belastung absolut ungenau. Ich trage deshalb ausschließlich einen Brustgurt für eine genaue Messung. Dann bieten diese Uhren oder sind es schon kleine Computer, verschiedenste Ergebnisse und Erkenntnisse. Ich habe regelmäßig einen HFV-Test durchgeführt, habe aber mein Training nicht danach ausgelegt. Vor meiner Verletzungspause hatte ich meistens Werte zwischen 18 und 30 (je niedriger, desto höher kann die Trainingsbelastung sein). Also war ich in einer guten Form. Nach meiner Verletzungspause hatte ich kaum Werte unter 50. Häufig sogar Werte zwischen 60 und 70, also scheinbar schlechte Form. Beim Laufen hatte ich subjektiv auch das Gefühl eines Formverlustes durch die Zwangspause. Am Montag nach dem Marathon hatte ich dann sogar einen Messwert von 92. Hatte ich vorher die Messwerte noch angezweifelt, ergaben sie für mich jetzt einen Sinn. Ich habe mich bei dem Marathon vermutlich maximal belastet und sollte danach auf jeden Fall eine Pause einlegen.

Jetzt bleibt für mich noch die spannende Frage: Was mache ich in Zukunft? Weitermachen? Doch noch versuchen, meine Leistung zu steigern? Oder wieder Gesundheitsläufer werden? Ich weiß es noch nicht und schwanke hin und her…

Auf Instagram und Strava könnt ihr noch mehr über meine Laufaktivitäten erfahren.

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Comments

  • Hallo,
    ich bin maximal beeindruckt. Mit jetzt 60 Jahren bin ich bisher nur Freizeitläufer (6-10 km) bzw. Schwimmer (2 km), einen Marathon bin ich bisher nicht gelaufen und dachte, das das ab meinem fortgeschrittenen Alter wohl eher nichts mehr ist. Ausserdem muss ich derzeit weg. entzündlicher Achillessehne an der Ferse kürzer treten.
    Aber das Lesen deines Blogs hat mir gezeigt, das da wohl noch was geht.
    Beste Grüße
    Matthias

    Posted vor 3 Jahre by Matthias Hüls

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